Das Informatikstudium - Ein Erfahrungsbericht

Lukas Westhofen

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Fünfeinhalb Jahre. So lange habe ich für mein Informatikstudium gebraucht. Fünfeinhalb lange Jahre, obwohl ich immer noch für den Themenbereich brenne. Manchmal frage ich mich, ob mein Vergangenheits-Ich den gleichen Studiengang gewählt hätte, wenn es meine aktuellen Erfahrungen hätte. Denn das Studium selbst hat sich teilweise stark von meinen Erwartungen unterschieden (was wohl auch der Grund für diesen Forenbeitrag ist).

Was alle Informatiker*innen wohl verbindet ist die Liebe zum Computer. Eine Maschine fähig komplexeste Rechenvorgänge, ohne Wenn und Aber auszuführen scheint wohl eine gewisse Faszination auszulösen. Vor allem wenn einem klar wird, dass die Rechenoperationen eigentlich nur auf einem im Durchschnitt 50°C heißen Siliziumklumpen laufen. Oder wurde dein Interesse durch Computerspiele geweckt? Vielleicht hast du aber auch schon immer gerne den Quelltext von google.de bearbeitet und dich dann wie ein Meisterhacker gefühlt? Was auch immer dein Grund ist, du möchtest auf jeden Fall dein Wissen durch ein Informatik Studium vertiefen.

Am besten beschreibe ich erst einmal meine Erwartungen ans Studium. Falls du dich darin wiederfindest, um so besser; ansonsten befindet sich aber auch ein TL;DR am Ende dieses Beitrags. Ich selbst hab mein Studium mit meinem Wissen aus einem Informatik Grundkurs und einer Jahresarbeit in meinem Abitur mit dem Thema "Objekt-orientierte Spieleprogrammierung in C++" gestartet. Letzteres war auch wahrscheinlich Auslöser dafür, dass ich Informatik der Physik vorgezogen habe. Denn durch mein erstes, eigenes Projekt habe ich das Programmieren für mich entdeckt. Die Möglichkeit aus dem Nichts durch das Schreiben einer Quasi-Textdatei diverseste Programme, Steuerungen und auch Spiele zu erschaffen, scheint mich wohl am meisten für die Informatik begeistert zu haben. Kurzum für mich war die Informatik das Erschaffen von Programmen und alles, was dazugehört.

In meiner halbjährlichen Pause zwischen Schule und Studium habe ich mich natürlich bei Freund*innen und Verwandten umgehört, was mich im Studium erwarten wird. Unter anderem wurde mir von den (Enkel-)Kindern erzählt, die entweder das Studium abgebrochen haben oder noch dabei sind. Dabei waren sich alle jedoch einig: Das Informatik Studium verlangt sehr viel Mathematik.

"Gut", dachte ich mir, "ich habe den Leistungskurs Mathematik damals ganz gut gemeistert, da wird mich im Studium nicht so viel überraschen". Der Regelstudienplan gab mir auch nicht viel Auskunft. Immerhin konnte ich mit den Begriffen Analysis, Lineare Algebra, Stochastik und Logik etwas anfangen, also sollte es nicht so schwierig sein. Logisches Denken konnte ich schließlich auch immer ganz gut. Außerdem bin ich ein Meister darin Wissen Formeln und Wissen aufzusaugen und anzuwenden. Was soll mir schon in den Weg kommen?

Auch auf den Didaktikwechsel war ich vorbereitet. Selbstständiges Lernen und weniger Betreuung bei den Aufgaben sah ich als selbstverständlich an. Und der Rest wird schon irgendwie machbar sein. Die Schule hat mich zwar auch teilweise echt gefordert, aber bisher war keine Herausforderung zu groß. Frei nach Daft Punk: "Harder, better, faster, stronger" sollte das Studium auch nur ein weiterer Schritt auf der Karriereleiter sein.

Zusammenfassend umfasste die Informatik für mich also die folgenden Kernkompetenzen: Programmieren, Mathematik, Logik, Algorithmen und etwas Elektrotechnik.

Der aufmerksame Lesende fragt sich jetzt nun, warum ich diesen Artikel schreibe, wenn gut 70% des Regelstudienplans der RWTH im Bachelor deckungsgleich mit meinen Erwartungen ist. Das Problem an der Sache ist wohl die Gewichtung der einzelnen Teilbereiche. Denn ein*e Informatiker*in ist nicht zwingend ein*e Programmierer*in, auch wenn die Begriffe gerne synonym verwendet werden. Vor allem nicht an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen University, bei denen das P im Namen für Praxis und das T für Theorie steht.

Kurz gesagt: Wer eine reine Programmierkarriere vor sich haben möchte, ist mit dem reinen Bachelorstudium oder gar einer Ausbildung zur Fachinformatiker*in besser aufgestellt.

Für alle anderen bietet das Studium einen interessanten Einblick in die Theorie dahinter. Praxisnahes Wissen wird selten vermittelt, was aber auch nicht zwingend der Anspruch einer Universität ist. Vielmehr wird das theoretische Wissen vermittelt. Ob man dieses später wirklich anwendet oder nicht ist von einem selbst abhängig. In meiner aktuellen Lage als PhD Student kann nur davon reden, dass ich jeden Tag von dem Wissen Gebrauch mache, vor allem von den Grundlagen. Dies wird einem aber leider erst in Retrospektive klar. Die Frage, nach dem Warum und Wieso beim Lernen wird, nämlich häufig nicht geklärt.

Um mehr ins Detail zu gehen und um dich in deiner wahrscheinlich aktuellen Situation abzuholen möchte ich dir hier noch etwas mit auf den Weg geben: Dein Informatik- & Mathematikwissen wird wahrscheinlich für drei Wochen reichen. Danach heißt es sink or swim. Und das hat sich bei mir zumindest gut auf mein Ego und meine Laune widergeschlagen. Es werden Momente auf dich zukommen, in denen du dich dumm fühlst, in denen sich Zweifel entwickeln und in denen du das Studium komplett abbrechen willst und du dich fragen wirst, warum du keine Ausbildung als Köch*in oder Schreiner*in begonnen hast. Hauptsache irgendeinen Beruf bei dem man nicht hauptsächlich Denken muss. Größtenteils beziehe ich mich bei diesen Aufgaben auf mathematische Beweise. Während in der Schule die meisten Aufgaben nach dem Prinzip Input, Formel, Output funktionierten, muss man an mathematische Beweise ganz neu herangehen. Denn es gibt dort keinen eindeutigen Weg mehr. Vielmehr muss man über bereits Gelerntes und über auch scharfes Nachdenken – ein Synonym für probiere so lange die verschiedensten Ansätze aus, bis du die Lösung hast oder aufgibst – in mathematische Prosa ein Konzept so erklären, dass es keinen Zweifel mehr gibt, dass der Fakt wahr oder falsch ist. Aus meiner Sicht ist das Problem mit diesen Aufgaben die Zeit, die man für diese meist zur Verfügung hat. Während die Mathematiker*innen, die diese Beweise ursprünglich definiert hatten, meist mehrere Wochen, Monate oder gar Jahre Zeit hatten diese zu beweisen, hat man für ein Übungsblatt meist nur eine Woche Zeit, wovon man rein zeitlich nur zehn Stunden dafür opfern kann. Die richtig schweren Beweise werden aber zum Glück in der Vorlesung selbst behandelt. Und zudem besteht die Informatik ja auch aus noch viel mehr als nur Mathematik.

Ich könnte jetzt noch sehr weit ausholen und über die verschiedensten Themenbereiche der Informatik reden, aber da empfehle ich dir dich mit den jeweiligen Regelstudienplänen und Modulhandbüchern der gewünschten Universität auseinanderzusetzen. Vielmehr möchte ich noch über einen nicht zu vernachlässigenden Teil des Studiums reden, der häufig übersehen wird, nämlich alles, was außerhalb des Studiums stattfindet. Mit Einführung der Bologna Reglung ist nämlich die Regelstudienzeit zum heiligen Gral geworden, von dem man niemals abweichen sollte. Dem möchte ich widersprechen und dich ermutigen neben der viel zu kurz geratenen Zeit neben dem Studium auch über den Tellerrand hinauszuschauen. Neben Freundschaften fürs Leben bieten nämlich die einzelnen Angebote, Clubs, AGs, Fachschaften, Sportgruppen, usw. einen Ort sich zu entfalten, persönlich zu wachsen und neu zu entdecken. Und dies ist meiner Meinung nach mehr wert, als stur an einer vorgegebenen Zahl an Semestern festzuhalten. Zwar ist ein Abschluss in Regelstudienzeit schön und auch ohne Frage eine herausragende Leistung, leider aber weniger wert, wenn mit dem Studium keine weitere, persönliche Entwicklung einhergegangen ist. Aus meiner Sicht pervertiert ansonsten das Studium zu einem einzigen Ego Trip ohne Ziel. Dem kann man zwar entgegenwirken, aber ohne dauerhafte Erfolgserlebnisse – welche häufig auch auf lange Sicht ausbleiben – kann das Studium wie ein Spiegel der heutigen Leistungsgesellschaft wirken, bei der das Ziel das Ziel ist und nicht der Weg.

Auch wenn ich zwischendurch etwas pessimistisch klinge, habe ich doch meine Studienzeit genossen. Heute mehr als zuvor glaube ich aber auch, dass man sich nicht komplett auf das, was einem im Studium erwartet, vorbereiten kann. Was ich jedoch bzgl. meiner Erwartungshaltung geändert hat ist das Folgende. Nach fünfeinhalb Jahren Lernen habe ich endlich Lust etwas anzupacken und zu verändern. Und das Studium bietet einen dafür – also für das Erstellen und Durchsetzen eigener Ideen, Projekte und Produkte – die richtige Basis. Wer also bis zum Master und darüber hinaus studieren möchte, sollte sich im Klaren sein, dass man nicht nur mehr Verantwortung, sondern auch mehr Möglichkeiten erhält in der aktuellen Welt etwas zu verändern.

TL;DR: